Das dog-shaming-Phänomen

Der Hunde wie auch Katzen-Beschämungsprozess ist in vollem Gange, seit längerem schon häufen sich die Seiten jener mitunter durchaus spaßigen Bilder, die „tierliches Fehlverhalten“ dokumentieren. Nicht selten wird dabei am digitalen Pranger auf bewährte Ikonografien zurückgegriffen, so etwa die dem Tier um den Hals gebundene Pappe mit einem die „Schandtat“ erklärenden Schriftzug.

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Der eine oder andere Lacher bleibt bei vielen Bildern nicht aus, zumal sie häufig mit einem liebevollen Augenzwinkern daherkommen. Das ganze Phänomen besitzt allerdings noch weitergehendes Deutungspotential. Die Hunde-Beschämung ist schließlich ein merkwürdiges Unterfangen, aus gleich mehreren Gründen. Man könnte anführen, dass Scham als Gefühl nicht verordnet werden kann. Das ist sicher richtig, trifft aber nur bedingt den Kern des Phänomens, schließlich weist die Blickstruktur des Bildes auf einen ganz anderen Adressaten als das jeweilige Tier selbst hin. Denkt man die Blickrichtung, die auch die Aussagerichtung abbilden dürfte, konsequent zu Ende, trifft sie mit der betrachtenden Person mitnichten das vordergründig zu beschämende Tier.

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Hinzukommt, dass „Scham“ eine Traditionsgeschichte besitzt, die sie als Tugend, und gerade nicht als negative Auszeichnung erkennbar werden lässt. Für die griechische Antike, namentlich für Aristoteles, wirkt die Scham prohibitiv, sie verhindert Vergehen und gilt noch nicht als deren Resultat. Während „Schuld“ eine verkopfte, intellektuelle Kategorie darstellt, hebt sich die Scham genau davon ab und verweist uns auf den regelrechten Zwang, sich selbst mit den Augen der anderen sehen zu müssen – eben jene Konfrontation, die dazu führt, dass man in bestimmten Augenblicken (!) im Boden versinke möchte. In diesem Sinne verweist uns Scham auf mangelnde Selbstverfügung: Wir sind von Blicken anderer abhängig, die wir nie in Gänze antizipieren können, die uns gelegentlich unvorbereitet und unerwartet treffen.

Ihren systematischen Ort hat die Scham dann im Prozess des Umlernens, in der Einsicht der Defizienz der eigenen Selbsterkenntnis. Dass diese Einsicht wie oben beschrieben gerade nicht auf das Tier, sondern den das Tier betrachtenden Menschen zurückfällt, bringt den eigentlichen Charakter der dog-shaming-Bilder vielleicht besonders charmant auf den Punkt: Sie zeigen uns: Uns selbst, und die Art, wie wir auf die Tiere blicken.

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